UN-Konferenz zur Biologischen Vielfalt: Ein Machtwort der Kanzlerin würde auch hier helfen

cbdcop13Am 2./3. Dezember findet erstmals im Vorfeld der 13. Vertragstaatenkonferenz der UN-Biodiversitätskonvention CBD COP13 im mexikanischen Cancún das Treffen der Spitzenpolitiker statt. Verhandelt werden soll dort angesichts eines kaum gebremsten Verlustes der globalen biologischen Vielfalt, wie betroffene Politikressorts wie Land-, Forst-, Fischerei- und Tourismuswirtschaft zu mehr Kooperationswillen im Naturschutz bewegt werden können, auch in den darauffolgenden Verhandlungen bei der COP. Die Bundesumweltministerin hat dazu im letzten Jahr im Alleingang die Naturschutzoffensive 2020 gestartet. Doch mehr als “Geduld und die Politik der kleinen Schritte” ist kaum möglich, meint Dr. Elsa Nickel, Abteilungsleiterin für Naturschutz und nachhaltige Naturnutzung des BMUB, im NeFo-Interview. Der Politologe Norman Laws sieht das anders. Er fordert, die in der Bundespolitik ernsthaft zu stärken, unter anderem durch ein klares Bekenntnis aus dem Kanzerlamt.

Ein Machtwort forderte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks Anfang November von Angela Merkel, um endlich die Blockadehaltung ihrer Kollegen aus den klimaschutzrelevanten Politikressorts zu überwinden. „Stinksauer“ sei sie laut Medienberichten gewesen, denn sie wollte die erste sein, die bei der Klimakonferenz in Marrakech einen Nationalen Klimaschutzplan vorlegt und damit als Vorreiter Beifall ernten. Doch die Kollegen aus den Unionsgeführten Bundesministerien für Landwirtschaft sowie Verkehr verweigerten ihr die Freigabe. Dabei war ihr Entwurf zuvor schon massiv von ihrem eigenen Parteigenossen Wirtschaftsminister Gabriel zusammengestrichen worden. Das Ergebnis: Sämtliche Zwischenziele zur CO2-Einsparung für Sektoren wie Industrie, Gebäude, Verkehr oder Landwirtschaft fielen raus. Und selbst damit taten sich die CSU-Minister noch schwer. Am Ende gab es auch ohne Machtwort eine Freigabe für einen Plan, der die Hauptproduzenten der Klimagase in Deutschland weiter schont und ein Bild davon zeichnet, wie groß das Bewusstsein für die Notwendigkeit effektiven Klimaschutzes in der Bundesregierung ist.

Noch passender und mindestens ebenso gerechtfertigt wäre die erneute Aufforderung zu einem Kanzlerinnen-Machtwort in der internationalen Naturschutzpolitik. Passend, da die am 2. Dezember im Mexikanischen Cancún beginnende Weltnaturschutzkonferenz, besser UN-Vollversammlung des Übereinkommens über die biologische Vielfalt CBD, dieses Jahr als Hauptthema das „Mainstreaming“ gesetzt hat. Gemeint ist damit, die Erhaltung der Vielfalt von Arten, Lebensräumen und ihrer Leistungen für die Menschen zu einem zentralen Ziel in allen betroffenen Politikbereichen zu machen. Erstmals wurden hierfür die Verhandlungen der Spitzenpolitiker an den Anfang der Konferenz gelegt, in dem Mainstreaming vorangebracht werden soll.. Als Ergebnis erwartet man sich eine gemeinsame Erklärung, den Wert der biologischen Vielfalt und der intakten Ökosysteme für Wirtschaft und Gesellschaft anzuerkennen und zu fördern. Und – das ist neu – diese Cancún-Erklärung soll im Namen aller relevanten Ministerien unterzeichnet werden.

Damit legt die CBD den Finger in eine zentrale Wunde des globalen Naturschutzes, denn tatsächlich geht der Schwund der biologischen Vielfalt, intakter Lebensräume und deren Leistungen für die Menschen nicht wegen zu kurz gesteckter Ziele der Umweltminister weiter. Dieser Schwund findet vornehmlich in Bereichen statt, in denen andere Politikressorts das Sagen haben: Land-, Forst-, Fischerei-, Energie- und Industriewirtschaft. Und ohne eine Verankerung der Naturschutzziele in diesen Ressorts ist es kein Wunder, dass es auf dem Weg zum anvisierten Ziel so schleppend voran geht.

Dies dürfte der Tenor des ersten Programmpunkts der eigentlichen Konferenz sein, dem Überblick über die Erfolge bei der Umsetzung des sogenannten Strategischen Plans der CBD 2011-2020. Die vor sechs Jahren von allen 194 UN-Mitgliedstaaten beschlossenen 20 Ziele (AICHI-Ziele), den stetigen Schwund der Biologischen Vielfalt bis 2020 zu stoppen, dürften laut der ausgewerteten Berichte der Staaten fast vollständig verfehlt werden. Tatsächlich sind diese Ziele nicht unambitioniert, finden sich darunter solche Vorgaben, wie ab 2020 sämtliche landwirtschaftlichen und fischereiwirtschaftlichen Aktivitäten weltweit absolut nachhaltig durchzuführen, natürliche Lebensräume einschließlich der Wälder höchstens nur noch halb so schnell, möglichst gar nicht mehr zu verlieren und bis 2015 den zerstörerischen Druck auf die am schnellsten schwindenden Ökosystemtypen wie etwa Korallenriffe aufzuheben, was nebenbei hieße, vor allem den Kohlendioxidausstoß radikal zu senken.

Der vor zwei Jahren vorgestellte Zwischenbericht der CBD (Global Biodiversity Outlook 4) zeigte, dass es in vielen Zielen zwar Fortschritte gab. So hat sich der Verlust der Waldlebensräume im  brasilianischen Amazonasgebiet erheblich verlangsamt und die Qualität der Binnengewässer in Europa hat sich wesentlich verbessert. Ein Ziel ist bereits schon erreicht: Der faire Ausgleich von Gewinnen durch die Nutzung genetischer Ressourcen wird nun durch das so genannte Nagoya-Protokoll geregelt, das die so genannte Biopiraterie stoppen soll (was durch die neuesten Entwicklungen in der Genomforschung nun womöglich unterlaufen werden kann).

Global gesehen reicht die Geschwindigkeit der Fortschritte jedoch bei Weitem nicht aus; in vielen Zielen ist Stillstand wenn nicht sogar ein weiterer Abwärtstrend zu beobachten. So auch beim Verlust von Wildnis. Ein internationales Forscherteam errechnete jüngst, dass weltweit 3,3 Millionen Quadratkilometer weitgehend ungestörtes Land in den letzten beiden Jahrzehnten verschwunden seien, rund ein Zehntel der noch verbleibenden Wildnisgebiete. Am meisten davon ging in der Amazonasregion (30 %) und Zentralafrika (14%) verloren. Dabei würden die Effekte der durchaus wachsenden Schutzanstrengungen durch die doppelt so schnell zunehmenden Verluste zunichte gemacht. Verantwortlich dafür seien laut der Forscher vor allem der zunehmende Flächenverbrauch für Straßen- und Siedlungsbau, Rohstoffabbau sowie großflächige Landwirtschaft.

Äcker und Wiesen sind auch in Deutschland der Bereich, in dem die Biodiversität am stärksten leidet. Das ist kaum verwunderlich, bedecken Agrarflächen doch rund 52 Prozent des Landes. Doch was früher noch gute Bedingungen für eine Vielzahl von Arten bot, ist durch immer intensivere Nutzung zu einer Agrarwüste geworden. So leben laut Langzeiterhebungen des Entomologischen Vereins Krefeld in der Kulturlandschaft Nordrhein-Westphalens heute im Vergleich zu Ende der 1980er Jahre nur noch 20 Prozent der Insektenmengen. Es fehlt schlicht an vielfältige Strukturen mit Nist- und Futtermöglichkeiten, die über das ganze Jahr verfügbar sind. Dazu kommt massiver Einsatz hochwirksamer Insektizide. Dadurch fehlt die Nahrungsgrundlage für Vögel und Kleinsäuger.

Der zentrale Indikator für ‘ und Landschaftsqualität' ist laut des Indikatorenberichtes zur biologischen Vielfalt 2014 gerade im Agrarland auf den bisher tiefsten Wert abgesunken”, meint Dr. Elsa Nickel, Abteilungsleiterin für Naturschutz und nachhaltige Naturnutzung, im NeFo-Interview. Entsprechend sei der Handlungsdruck in der Agrarlandschaft am größten.

Doch hier bremst eine starke Lobby bisher nennenswerte Fortschritte. Einfach zusehen, wie sie mit den Biodiversitätszielen auf internationaler wie nationaler Ebene baden geht, will Barbara Hendricks jedoch nicht und ging deshalb im Herbst 2015 in die „Offensive“. In der so genannten Naturschutzoffensive 2020, die vom Umweltministerium ohne Abstimmung mit anderen Ministerien gestartet wurde, benannte sie dringende Handlungsfelder und Ziele, für die das BMUB bis zum Ablaufen der Nationalen Biodiversitätsstrategie in vier Jahren kämpfen wolle. Dabei sollen Maßnahmen mit eigener Zuständigkeit vorangetrieben, bei anderweitiger Zuständigkeit aber auch verstärkt die betroffenen Politikressorts zu nachhaltigeren Politikentscheidungen gedrängt werden.

Die mutigste und kontroverseste Forderung darin ist sicherlich, nach 2020 die (rein flächenbezogenen) EU-Agrarsubventionen abzuschaffen. Diese bilden mit 40 % den größten Einzelposten im EU-Haushalt. Bis zu 60 % des Einkommens eines eigenständigen Agrarbetriebs in Deutschland bestehen laut Deutschem Bauernverband aus Subventionen. Allein die intensive Schweine- und Geflügelhaltung in Deutschland wird laut dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland BUND jährlich mit mehr als einer Milliarde Euro unterstützt. Diese sind jedoch kaum an öffentlich relevante Leistungen geknüpft. Stattdessen gleichen sie die Kosten der Landwirte durch Ineffizienz und Umweltschäden wie etwa Bodenverlust aus und halten so die nicht-nachhaltige Agrarproduktion am Laufen. Weltweit liegen die so genannten „perversen“ Subventionen laut dem UN-Umweltprogramm UNEP zwischen 500 Mrd. und 1,5 Billionen US-Dollar – mehr als das Bruttosozialprodukt vieler Staaten. (DNR 2008). Lediglich vier Prozent davon seien ökologisch förderlich, so eine Studie der OECD.

Auch die CBD fordert seit Jahren, die so genannten „perversen Subventionen“ bis 2020 auslaufen zu lassen (AICHI-Ziel 3). Von diesem Ziel ist man jedoch mit am weitesten entfernt, dabei gehört es zu den wenigen Zielen, bei denen die Politik direkt quantifizierbare Ergebnisse herbeiführen könnte. Doch der Widerstand ist offenbar einfach zu groß. So liegt bis heute nicht einmal eine Analyse der bestehenden EU-Subventionen auf ihre Biodiversitätsverträglichkeit vor. Bei den meisten anderen Staaten sieht es nicht viel besser aus. 44 % der CBD-Mitgliedstaaten haben das Ziel einfach erst gar nicht in ihre Nationalen Strategien übernommen, weitere 44 % lediglich unzureichend. Lieber erwähnt man in den Nationalen Fortschrittsberichten (NBSAPs) optimistisch die Einführung neuer zuträglicher finanzieller Subventionen.

Finanzielle Anreizsysteme seien ohnehin nicht erfolgversprechend um Ziele schnell zu erreichen, denn dafür hätten wir schlicht nicht die Zeit, meint Almuth Ernsting, Co-Direktorin der britischen Nichtregierungsorganisation Biofuelwatch. Nur gesetzliche Regulierungen wirken schnell genug, um massive Probleme für die Weltbevölkerung durch den Verlust lebensnotweniger Ökosystemleistungen entgegenzuwirken. Dies zeige etwa das Beispiel der FCKW. Das Montreal-Protokoll war das bislang wirkungsvollste globale politische Abkommen. Hier sei damals auch niemand auf die Idee gekommen, das Problem mit freiwilligen Anreizsystemen lösen zu wollen.

Deshalb soll die COP13 die Staaten nun „drängen“, das Ziel 3 zur Abschaffung und nachhaltigen Umwidmung der Subventionen bis 2020 zu erfüllen. Das ist immerhin die stärkste Formulierung, die im UN-Jargon existiert. Dass hier allerdings weiterhin mit Widerstand zu rechnen ist, wird an den vielen Paragraphen der zu diskutierenden COP13-Beschlussvorlage mit eckigen Klammern deutlich, die zeigen, dass hier bei den Vorverhandlungen keine Einigkeit erzeugt werden konnte. Hier hakt es schon bei der Formulierung, dass die Vollversammlung Staaten dazu „ermutigen“ soll, politische Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft zu schaffen, die die Ziele nationalen Biodiversitätsstrategie widerspiegeln.

Ob die Cancún-Erklärung hier viel bewirken wird, ist fraglich, denn sie enthält im Entwurf kaum mehr als Allgemeinplätze. Subventionen beispielsweise finden keine Erwähnung. Erstaunlicherweise auch nicht der exra vor vier Jahren gegründete Weltbiodiversitätsrat IPBES, der in seinen Berichten die von den meisten UN-Staaten anerkannte wissenschaftliche Argumentationsgrundlage liefern soll und per se als Mainstreaming-Instrument für globale Umweltpolitikprozesse wie die CBD gedacht war.

Auch das BMUB sieht in seiner Naturschutzoffensive nur begrenzte Einflussmöglichkeiten. Man müsse für die dringende Notwendigkeit der Veränderung, für verstärkte Umsetzungsbemühungen und Integration der Naturschutzbelange in andere Politikfelder werben, sagt Elsa Nickel. “Der ‘große Wurf' ist selten gleich erreichbar. “Meistens ist eine beharrliche Politik der kleinen Schritte nötig, für die wir viel Geduld brauchen.”

„Es braucht wirklich ein Machtwort aus dem Bundeskanzleramt“, meint Norman Laws. Der Politologe an der Leuphana-Universität Lüneburg hat Gründe für die schlechten Werte für die Biodiversität in der Bundespolitik gesucht. Im Rahmen des „Politikbarometer zur Biodiversität in Deutschland – Politische Vorfahrt für biologische Vielfalt“ von 2014 befragte er zuständige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in verschiedenen Bundesministerien (siehe NeFo-Artikel). Sein Fazit: Dem Thema Biodiversität wird von den wenigsten (abgesehen von BMUB und BMZ) eine nennenswerte politische Bedeutung beigemessen. Das läge auch an institutionellen Schwächen. Zwar habe man 2010 eine Interministerielle Arbeitsgruppe zur Förderung der Ziele der Nationalen Biodiversitätsstrategie in betroffenen Politikbereichen gegründet, wesentliche Impulse könne sie aber nicht setzen, schon allein, da dort die tatsächlichen Entscheidungsebenen eher selten teilnähmen. Und wichtige Institutionen wie etwa das Kanzleramt seien erst gar nicht beteiligt. Ein Impuls von dort sei aber Voraussetzung für mehr Engagement in der Verwaltung. Eine stärkere Nutzung der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzleramtes sei hier notwendig, empfiehlt Laws in der Studie.

Die Geschichte zeigt jedoch, dass Entscheidungen mit vielen Zielkonflikten für die verschiedenen Politikfelder nur mit einer klaren Richtungsvorgabe von oben möglich sind, sei es beim Atomausstieg oder dem „Wir schaffen das“ in der Flüchtlingsfrage.

Fast die gleiche Formulierung hat Angela Merkel übrigens auch schon einmal verwendet. 2010 in ihrer Eröffnungsrede zum internationalen Jahr der biologischen Vielfalt, in der sie sich unter anderem erstaunlich selbstkritisch zur EU-Wirtschaftspolitik gegenüber afrikanischer Staaten äußerte, forderte sie eine Trendwende und zwar „jetzt und nicht irgendwann“. „Wir können das schaffen!“ waren ihre abschließenden Worte. Ein persönlicher Auftritt mit diesen Worten in Cancún wäre wohl das wirksamste Mainstreaming, das die CBD sich vorstellen könnte.

Von Sebastian Tilch

[DE] 01. Dezember 2016 – Netzwerk-Forum zur Biodiversitäsforschung Deutschland (NeFo)
www.biodiversity.de