Der Umzug der Menschheit: Die transformative Kraft der Städte

WBGU übergibt Gutachten zur UN-Konferenz Habitat III.

Mehr als 2-3 Milliarden Menschen werden innerhalb weniger Jahrzehnte weltweit vom Land in die drängen, dabei verdoppelt sich die Einwohnerzahl der globalen Slums. Es ist die größte Migrationsbewegung unserer Zeit. Die Wucht dieses Urbanisierungsschubs ist der zentrale Treiber globalen Wandels im 21. Jahrhundert.

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Angehörige der indigenen Bevölkerung Ecuadors blicken beim Maisschälen auf El Panecillo auf das darunterliegende Quito. Photo: Diego Delso
(License: CC BY-SA 4.0)

Das zeigt das heute vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) übergebene Gutachten „Der Umzug der Menschheit: Die transformative Kraft der Städte“. Städte tragen unverhältnismäßig stark zum Ausstoß von Treibhausgasen bei, global mehr als zwei Drittel. Gleichzeitig werden sie von den Folgen der globalen Erwärmung besonders hart getroffen. Statt auf immer mehr Verdichtung soll der Städtebau deshalb auf Entwicklung in der Region setzen: Statt wuchernder Megastädte viele Mittelzentren, das steigert die Widerstandsfähigkeit gegen Krisen und senkt den Druck auf örtliche Ressourcen wie Wasser oder Landressourcen.

„Das Wachstum der Städte ist so ungeheuer, dass es dringend in neue Bahnen geleitet werden muss“, sagt der WBGU Ko-Vorsitzende Dirk Messner, Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik. Würden in den Städten der Entwicklungs- und Schwellenländer immer neue Siedlungen mit Zement und Stahl gebaut, könnte allein die energieaufwändige Herstellung dieses Baumaterials bis 2050 soviel Treibhausgase freisetzen, dass damit das weltweite Emissionsbudget unter dem 1,5 °C Ziel bereits beinahe aufgebraucht wäre. Dabei gibt es Alternativen, etwa den Bau mit Holz und anderen natürlichen Baumaterialien. „Ohne entschlossenes politisches Handeln und internationale Zusammenarbeit würden durch den Ressourcenbedarf und den CO2-Ausstoß des Städtebaus die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit gefährdet“, so Messner.

Streben nach Nachhaltigkeit in Metropolen und Slums

Es geht auch um die Lebensbedingungen der Menschen in den Städten. Bereits heute leben mehr als 850 Millionen Menschen in unzumutbaren Wohnverhältnissen. In Afrika südlich der Sahara wohnen rund zwei Drittel der Stadtbevölkerung in Slums, in Asien etwa ein Drittel. In Asien und Afrika ist der Urbanisierungsdruck besonders stark, 90 % des Wachstums der globalen Stadtbevölkerung werden hier erwartet. Die aktuellen Fluchtbewegungen zeigen, wie schwer es selbst wohlhabenden Staaten fällt, raschen Zuzug in ihre Städte zu bewältigen. Bis 2050 könnte sich die Zahl der in unzumutbaren Wohnverhältnissen lebenden Menschen um 1 bis 2 Milliarden erhöhen.

„Daher müssen besonders die Lebensbedingungen der Ärmsten in den Mittelpunkt der Stadtentwicklung rücken“, so Messner. Diesen fundamentalen Perspektivwechsel der urbanen Agenda will der WBGU auf der anstehenden UN-Konferenz Habitat III anstoßen.

„Eine Stadt wie Hong Kong in ihrer extremen Verdichtung ist nur lebensfähig, weil sie Erdöl, Metalle, Lebensmittel aus dem Umland und der ganzen Welt aufsaugt, verdaut und die Rückstände wie Müll, Schmutzwasser, Abgase ins Umland ausstößt“, erklärt Hans Joachim Schellnhuber, WBGU Ko-Vorsitzender und Direktor des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. „Die Dezentralität der Erzeugung erneuerbarer Energien, der Kreislaufwirtschaft und auch etwa der digitalen Ökonomie ermöglicht aber die Entdichtung – und erfordert diese teils. Die polyzentrische Integration in Regionen wie das sich neu erfindende deutsche Ruhrgebiet oder die San Francisco Bay Area können Modelle für Urbanität der Zukunft sein.“

Globale Bedingungen für nachhaltige Stadtgesellschaften schaffen

Im Gegensatz zur großen Bedeutung des Themas Urbanisierung für die Transformation zur Nachhaltigkeit sind die entsprechenden internationalen Institutionen nur schwach aufgestellt.

Um die Auseinandersetzung mit Urbanisierung und Transformation weltweit zu intensivieren, sollten sich die G20 des Themas dauerhaft annehmen. Dabei kommt der deutschen Bundesregierung mit ihrer G20-Präsidentschaft 2017 eine Schlüsselrolle zu. Sie sollte das Thema auf die Agenda setzen.

Das UN-Programm für Siedlungswesen (UN-Habitat) sollte reformiert und gestärkt werden, so dass dessen Gestaltungsmöglichkeiten und Wirkmächtigkeit mindestens auf Augenhöhe mit Programmen wie UNEP sind.

Regelmäßige wissenschaftliche Sachstandsberichte würden helfen, in der internationalen Staatengemeinschaft das Bewusstsein für Urbanisierung zu fördern und den bestehenden Handlungsbedarf für die Transformation in Richtung Nachhaltigkeit zu präzisieren. Ein solcher Ausschuss könnte, ähnlich wie der Weltklimarat (IPCC), eine integrierte Begutachtung des wissenschaftlichen Sachstands zur globalen Urbanisierungsdynamik durchführen.

 Ausgewählte Kernempfehlungen für urbane Transformationsfelder

 Klima und Ressourcen 

  • Alle fossilen CO2-Emissionsquellen in Städten bis 2070 durch Alternativen ersetzen und Energieverbrauch senken, etwa auch durch dezentrale Solaranlagen in informellen Siedlungen; dabei die Verkehrssysteme ebenfalls vollständig dekarbonisieren, vor allem durch die Stadt der kurzen Wege mit Durchmischung von Wohn- und Arbeitsviertel sowie durch den massiven Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs;
  • Anpassung an den Klimawandel vorantreiben, vulnerable Zonen in Städten identifizieren und ihre Bebauung vermeiden, informelle Siedlungen klimaresilient umgestalten;
  • Kreislaufwirtschaft in den Städten etablieren, nicht nur etwa bei Elektroschrott, sondern auch beispielsweise im Baurecht durch Vorschriften zur Rückbaubarkeit und Recyclingfähigkeit von Gebäuden.

  Menschenorientierte Städte 

  • Ungleichheiten zwischen Arm und Reich abbauen durch Neuorientierung des Städtebaus an den Bedürfnissen der 30-40 % Einkommensschwächsten; zugleich muss der zunehmenden Konzentration von Grundbesitz und Vermögen entgegengewirkt werden, etwa durch steuerliche Regelungen;
  • Eine sektorübergreifende Perspektive für die Stadtgesundheit entwickeln, die die Bekämpfung von Stressoren und Umweltschutz mit dem Erhalt und Ausbau gesunder urbaner Lebensräume verbindet;
  • Die städtische Flächennutzung an eine Gemeinwohlverträglichkeitsprüfung binden und Immobilienspekulation eindämmen.

Städte und internationale Politik

  • Stadtgesellschaften als politische Akteure global anerkennen und stärken, etwa durch Rederecht;
  • Auf nationaler Ebene die Selbstbestimmungsrechte von Städten ausbauen und Beteiligung der Bevölkerung an lokalen Entscheidungsprozessen stärken;
  • Entwicklungsfinanzierung international stärker auf die Städte und an Nachhaltigkeitskriterien ausrichten.

 Forschung

  • Stärkung nationaler und internationaler Forschung zur nachhaltigen Gestaltung des Jahrhunderts der Städte.
  • Einrichtung eines Max-Planck-Instituts für urbane Transformation, um die Forschung zum Thema weiter voranzutreiben sowie Einrichtung globaler urbaner Reallabore.
[DE] 25. April 2016 – Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU)
www.wbgu.de